Manche Eltern lassen ihr Kind fünf Jahre vor Schulbeginn auf die Warteliste setzen.

von Lena Bergmann
Dreschvitz. Bunte Fensterrahmen, ein Schulgarten mit Bienen und ein Sofa im Klassenzimmer: An eine klassische Schule erinnert an der Freien Schule in Dreschvitz auf Rügen wenig – weder das Gelände noch der Unterricht.

„Hier geht es nicht um Leistung. Es wird viel Wert darauf gelegt, dass die Kinder ihre eigenen Stärken finden können“, erzählt Diana Jäger. Ihre Tochter wurde im September eingeschult. Für die Freie Schule hat sich die junge Mutter bewusst entschieden. Als Medienpädagogin habe sie an vielen verschiedenen Schulen gearbeitet. Besonders überzeugt hat sie, dass es an der Privatschule so „klein“ und „familiär“ sei.

Damit ist sie kein Einzelfall. Immer häufiger wählen Eltern in MV eine Privatschule als Alternative zur staatlichen Schule. Das zeigt laut der amtlichen Schulstatistik auch die Entwicklung auf Rügen. Sind im Schuljahr 2018/2019 noch 493 Kinder und Jugendliche auf eine Privatschule gegangen, sind es im 2022/2023 schon 663.

Die steigende Beliebtheit für reformpädagogische Schulen zeigt sich auch in Dreschvitz. 60 Schülerinnen und Schüler haben sich in diesem Jahr für einen Platz beworben – 22 haben einen bekommen. Dabei berücksichtigt wurden unter anderem Geschwisterkinder und wann die Familien sich angemeldet haben. Dabei kommt es vor, dass Eltern ihr Kind fünf Jahre vor Schulbeginn auf die Warteliste setzen lassen, erzählt Bianca Reetz, pädagogische Leiterin an der Freien Schule.

Unterrichtet wird in Dreschvitz nach einem Mehrstufenprinzip, das laut der Gründerin der Pädagogik, Maria Montessori, der Entwicklungsphase des jeweiligen Alters entspricht. Dabei findet der Unterricht nicht im 45-, sondern im 90-Minuten-Takt statt. „In der Zeit schaffen die Kinder viel mehr und haben Zeit, um sich mit einem Thema auseinanderzusetzen“, so Bianca Reetz.

Ein kleines Mädchen kommt während des Gesprächs in den Raum und fragt nach einer Packung Kuhmilch – die brauche sie für den Deutschunterricht. Was an anderen Schulen für Stirnrunzeln gesorgt hätte, scheint hier das Normalste der Welt zu sein. „In einer Unterrichtseinheit geht es selten nur um ein Fach.“ So werden zum Beispiel Mathe, Deutsch und Sachkunde miteinander verbunden. „Die Kinder sollen lernen, vernetzt zu denken und nicht nur in Fächern.“

Dazu gehört auch, dass eine Unterrichtseinheit pro Woche im Wald stattfindet. „Das wirkliche Leben spielt sich nun mal nicht nur am Schreibtisch ab“, meint Mandy Landmann, die Geschäftsleiterin der Freien Schule. Im Gegensatz zu staatlichen Schulen gibt es am Ende des Schuljahres hier keine Noten. Statt Druck aufzubauen, sei es viel wichtiger, bei den Kindern die intrinsische Motivation zu fördern, sie also aus Interesse an der Sache lernen zu lassen, erzählt Mandy Landmann.

Ein Mosaik an der Wand sowie hölzerne Tiere auf dem Schulhof deuten darauf hin, dass die Kinder aktiv an der Gestaltung ihrer Schule beteiligt sind. Von sieben bis 17 Uhr sind die Schule und der dazugehörige Hort geöffnet. In den Räumen tragen alle Hausschuhe – ob Schüler oder Lehrer. „Das hier ist wie ein zweites Zuhause für die Kinder“, sagt Reetz. Auch wird hier jeder mit „du“ angesprochen. „Augenhöhe“ heißt das Stichwort im Miteinander, auch mit den Eltern.

Mandy Landmann glaubt, dass der Zuspruch zu Schulen in freier Trägerschaft auch auf die Entwicklung der staatlichen Schulen zurückzuführen ist. Der Personalmangel verändere das Umfeld, sagt Landmann. Unterrichtsausfall und Lernrückstände seien immer wieder ein Thema. „Unser Vorteil gegenüber staatlichen Schulen ist, dass wir viel freier agieren und Dinge schneller umsetzen können“, so Landmann.

Schulen in freier Trägerschaft seien jedoch nicht für jedes Kind der richtige Weg, weiß Antje Lipp aus Göhren. Die zweifache Mutter hat ihre Tochter nach drei Jahren an einer Privatschule auf die Regionale Schule nach Göhren wechseln lassen. Das Aha-Erlebnis kam am Ende des Schuljahres mit dem schlechten Zeugnis. „Kein Lehrer hat mich als Mutter während dem Jahr über die Leistungen informiert.“

Ihre Tochter Malia fühlt sich an der jetzigen Schule wohler. „Manchmal braucht es auch ein bisschen Strenge. Das zeigt ja nur, dass die Lehrer sich auch um uns Schüler kümmern“, ist die 15-Jährige der Meinung. Jedes Kind sei anders und habe unterschiedliche Bedürfnisse, dafür sei es gut, alternative Schulformen zu haben, so Lipp.

Sie sei froh, beide Schulformen ausprobiert zu haben, findet es jedoch unfair, dass Privatschulen oft so in den Himmel gelobt werden, während die Wertschätzung für die öffentlichen Schulen fehle: „Es ist schade, dass staatliche Schulen oft einen schlechten Ruf haben, obwohl auch ihre Angebote wirklich gut sind.“

Quelle: OZ vom 05.10.2023, Lokalteil Rügen, Seite 11

Zum Zeitungsartikel: hier

Diana Jägers Tochter geht seit diesem Schuljahr auf die Freie Schule in Dreschvitz. Die Schulform hat sie sich bewusst ausgesucht.

So sieht ein Klassenzimmer an der Freien Schule Rügen in Dreschvitz aus.

Die Schüler Oskar Reetz und Max Kremerskothen (v.l.) beim Spielen an der Kletterwand.

Jedes Jahr führt die Freie Schule ein Theaterstück auf. Für den Theaterunterricht gibt es einen großen Kostümfundus.

An der Freien Schule gibt es eine Werkstatt, in der die Kinder mit Holz arbeiten können.